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Antidiskriminierungsgesetz: Auch Auswirkungen auf Existenzgruender und Selbstaendige


(gruendungszuschuss.de) Am 18. August 2006 ist das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten, das schon seit längerer Zeit unter dem Namen "Antidiskriminierungsgesetz" diskutiert wurde. Kontrovers ist das Gesetz vor allem wegen der zusätzlichen Bürokratie, die es Unternehmen aufbürdet. Selbst wenn Sie gar nicht vorhaben, Mitarbeiter anzustellen, lohnt es sich, die Grundzüge des Gesetzes zu verstehen – Sie können nämlich auch dann auf unterschiedlichste Weise betroffen sein.

Auch Selbständige vor Diskriminierung geschützt

Geschützter Personenkreis sind nicht nur Bewerber und Arbeitnehmer (vom Auszubildenden bis zum GmbH-Geschäftsführer), sondern auch Selbständige, die sich um einen Auftrag bemühen und dabei diskriminiert werden – also möglicherweise Sie selbst! Außerdem zählen zu den Arbeitnehmern auch Praktikanten, 400-Euro-Jobber usw. – Sie müssen also auch dann aufpassen, wenn Sie nur mit Aushilfen und freien Mitarbeitern zusammenarbeiten. Anders als beim Mitbestimmungs- und Schwerbehindertengesetz gilt das AGG nicht erst ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl!

Verboten sind Benachteiligungen aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Identität. Das heißt im Umkehrschluss: Eine Benachteiligung aus anderen als den aufgezählten Gründen ist nicht verboten – zumindest nicht im Rahmen des AGG. Wenn Sie also jemand vorziehen, weil Sie (oder ein Mitarbeiter) ihn persönlich kennen und schätzen oder weil es sich um ein Familienmitglied handelt, so ist dies legitim. Und wenn jemand zu hohe Gehaltsforderungen stellt, unter- oder auch überqualifiziert ist oder ähnliches – so sind auch dies berechtigte Ablehnungsgründe. Auch das Aussehen kann ein legitimer Grund für die Auswahl sein, zum Beispiel in der Gastronomie. Allerdings ist beim Aussehen nur schwer von Alter, Herkunft usw. zu differenzieren.

Praktische Auswirkungen

Unmittelbar sichtbar werden die Auswirkungen des AGG bei (Stellen-)Ausschreibungen sein. Hier kann schon die ausschließliche Verwendung des männlichen (oder weiblichen) Geschlechts ("Praktikant"), die Angabe einer Altersgrenze (bis 30 Jahre) oder der Hinweis auf das "junge und dynamische Team" Indiz für eine Diskriminierung sein. Auch sollten Sie nicht explizit Foto und Lebenslauf verlangen, denn das könnte darauf hinweisen, dass Sie nach Alter und fremdländischem Aussehen entscheiden. Bitten Sie einfach um "aussagekräftige Bewerbungsunterlagen".

Auch vermeintlich unverfängliche Ausdrücke wie "belastbar", "mehrjährige Berufserfahrung" oder "fließende Deutschkenntnisse" können schon ein Indiz für eine Benachteiligung in Hinblick auf Behinderung, Alter und Herkunft sein, wenn die entsprechenden Eigenschaften nicht objektiv erforderlich für die Erfüllung der Aufgabe sind. Nicht nur die Formulierung der Stellenanzeige sollte gut überlegt sein. Auch Fragebögen, die Bewerber ausfüllen müssen, sollten keine Fragen enthalten, die Indiz für eine Diskriminierung sein könnten. Ähnliches gilt für das Bewerbungsgespräch. Dabei kommt es immer darauf an, welche Fragen Sie stellen, weniger auf die Informationen, die der Bewerber von sich aus liefert.

Was erlaubt ist: Eine "positive Diskriminierung", also das Vorziehen von Frauen, Behinderten oder anderen Gruppen ist zulässig – aber nur bei gleicher Qualifikation. In bestimmten Fällen kann auch eine Auswahl nach Geschlecht notwendig sein (Mannequin) oder nach Rasse (Besetzung der Rolle eines Schwarzen). Kleidervorschriften sind nicht nur aus Arbeitsschutz-Gründen zulässig, sondern in Ausnahmefällen auch wegen der Erwartungshaltung von Kunden – natürlich nur, wenn Kundenverkehr besteht! Ein kirchlicher Kindergarten darf nur katholische Kindergärtnerinnen einstellen – angreifbar wird eine solche Einstellungspolitik aber schon dann, wenn es um Tätigkeiten wie Buchhaltung oder Reinigungsdienste geht. Als Indiz können hier übrigens auch statistische Daten herangezogen werden, also zum Beispiel der Prozentsatz der Katholiken oder der Frauen in einem Unternehmen.

Besonderes Vorsicht bei der Absage

Ganz besondere Vorsicht gilt bei der Absage. Der Arbeitsrechtler Dr. Markus Hollich von der in München und Erfurt tätigen Kanzlei Sibeth rät hier eindringlich: Keine mündlichen Auskünfte zu Ablehnungsgründen geben – selbst auf eine floskelhafte Begründung sollten Sie verzichten. Wenn Sie aber zu einer schriftlichen Begründung Ihrer Absage aufgefordert werden, sollten Sie dies ernst nehmen und eine legitime und nachvollziehbare Begründung liefern, da Sie sich ansonsten angreifbar machen.

Außerdem rät Hollich dazu, genauestens auf die Nachweisbarkeit der Zustellung des Absageschreibens zu achten. Denn für die Geltendmachung eines Anspruchs gilt eine zweimonatige Ausschlussfrist, nach deren Ablauf das Unternehmen nicht mehr belangt werden kann. In der Praxis wird man deshalb die Absage per E-Mail übermitteln und in kritischen Fällen per Einwurfeinschreiben. Außerdem werden die Unternehmen künftig die Bewerbungsunterlagen bis zum Ablauf der Ausschlussfrist einbehalten und dann erst zurückschicken – zu Beweiszwecken.

Durch all diese Maßnahmen soll verhindert werden, dass sich das Unternehmen angreifbar macht. Denn wenn erst einmal ein Indiz für eine Diskriminierung vorliegt, erfolgt eine Beweislastumkehr. Dann muss der Arbeit- oder Auftraggeber beweisen, dass er die Auswahlentscheidung korrekt durchgeführt hat, was zumeist mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist.

Benachteiligungen können unmittelbar im Einzelfall erfolgen, zum Beispiel indem eine bestimmte Person nicht eingestellt, beauftragt oder befördert wird mit der Begründung zu alt, zu jung, weil Frau, weil schwul… Aber auch eine mittelbare Benachteiligung durch allgemeine Regelungen wie Zulagen und Sonderzahlungen nur für bestimmte Gruppen sind angreifbar. Deshalb müssen entsprechende Regelungen unter die Lupe genommen werden.

Sexuelle und nichtsexuelle Belästigungen

Das AGG verbietet auch sexuelle und nichtsexuelle Belästigungen. Als sexuelle Belästigung zählen bereits bestimmte Berührungen, Bemerkungen und das Zeigen oder sichtbare Anbringen von pornographischen Darstellungen – in so mancher Werkstatt wird da wohl einiges abgehängt werden müssen. Unter nichtsexueller Belästigung versteht man das Schaffen eines feindlichen Umfelds – ähnlich wie beim Mobbing. Beispiel: Beim Führungskräftemeeting werden regelmäßig nur die "sehr geehrten Herren" angesprochen, die anwesende Frau wird ignoriert. Ich schildere dies so ausführlich, weil aus solchen Sachverhalten unter Umständen ein Recht zur außerodentlichen Kündigung durch den Arbeitnehmer abgeleitet werden kann – und auch die Arbeitsagentur solche Sachverhalte eventuell stärker noch als bisher als wichtigen Grund anerkennt, die den Verzicht auf eine Sperrzeit rechtfertigen. Außerdem kann für die entstehenden finanziellen Nachteile Schadensersatz vom Arbeitgeber verlangt werden sowie gegebenenfalls „Schmerzensgeld“.

Als Unternehmer sind Sie auch für Diskriminierungen haftbar, die durch Mitarbeiter mit Führungsverantwortung geschehen. Außerdem müssen Sie gegen Benachteiligungen und Belästigungen durch Kollegen und Kunden vorbeugen beziehungsweise diese abstellen. Sie müssen den Mitarbeitern das neue Gesetz zur Kenntnis bringen, es ihnen zum Beispiel zumailen, besser noch Schulungen durchführen. Des Weiteren müssen Sie eine Beschwerdestelle einrichten und auf begründete Beschwerden durch entsprechende Maßnahmen reagieren.

Fazit: Wenn man Mitarbeiter beschäftigt, muss man jetzt noch mehr Dinge wissen und beachten als bisher. Eine Stellenausschreibung und Bewerberauswahl muss geplanter als bisher durchgeführt werden, um die Entscheidung im Streitfall auch begründen zu können. Zugleich werden die Entscheidungsträger noch zurückhaltender als bisher sein mit Auskünften zur Motivation ihrer Entscheidung. Man wird einem Bewerber nicht mehr ins Gesicht sagen, was die wahren Gründe für die Ablehnung sind. Noch mehr Stellen werden über Beziehungen vergeben. Denn wenn keine Ausschreibung erfolgt, dann kann die resultierende Auswahl auch nicht angegriffen werden. Und doch ist das Gesetz auch ein Meilenstein, denn es zwingt alle Beteiligten dazu, nachzudenken, welche Eigenschaften wirklich notwendig sind, wenn eine Stelle besetzt wird. Außerdem schafft es die Möglichkeit, gegen wirklich offensichtliche Missstände vorzugehen.

Weitere Informationen finden Sie in der Präsentation "Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und dessen Auswirkungen auf die betriebliche Praxis" unter www.sibeth.com/content/pdf/06-09-14_Gleichbehandlungsgesetz.pdf.

Verfasst von Andreas Lutz am 18.09.2006 09:10
http://www.gruendungszuschuss.de/?id=163&showblog=2214

Kommentare

Verfasst von Detlef Naumann am 18.09.2006 15:57

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