Aus "Rückblick: Wie sich unser Gechäft entwickelte"

"Hilfe, ich habe gegründet": Leseprobe

Rückblick: wie sich unser Geschäft entwickelte

Wir, mein Kompagnon und ich, hatten die Idee für unsere Gründung während der eigentlich besinnlichen Adventszeit des Jahres 2002. Vor allem für die Berufe, die mit Adventsschmuck und Deko zu tun haben, beginnt diese Phase bereits Mitte Oktober. Für meinen Geschäftspartner waren die Adventswochen immer die schlimmste, aber auch die schönste Zeit des Jahres, denn er ist Florist und Designer mit Herzblut. Er kann die schönsten Dekorationen und Adventskränze gestalten, die ich je gesehen habe. Allerdings arbeitete er auch mehr als 18 Stunden am Tag, und das von Oktober bis Heiligabend. Damals war er noch angestellt, und irgendwann sagte ich zu ihm: „Wenn du mit der gleichen Energie deinen eigenen Laden gründest, dann wirst du reich und berühmt.“

Dieser Gedanke – einmal ausgesprochen – ließ uns beide nicht mehr los. Für mich als Journalist sahen die Zeiten auch nicht so rosig aus, und ich dachte, die neue Geschäftsidee, mit einem genialen Kompagnon umgesetzt, könnte eine Perspektive sein. In meiner Vergangenheit hatte ich eine Ausbildung zum Werbekaufmann absolviert und war studierter Kommunikationswirt. Die ideale Kombination also: auf der einen Seite der geniale Kreative, auf der anderen Seite ich, der kaufmännische Part, der auch das Marketing übernimmt. Was sollte also schiefgehen?

Unsere Idee verfestigte sich, sodass wir schon bald mit der Planung begannen. Wir besuchten im Februar 2003 ein Existenzgründerseminar, erstellten Businesspläne, Marketingpläne, kalkulierten die Kosten der Einrichtung und die Grundausstattung mit Waren. Uns war klar, dass wir nicht einfach einen neuen Blumenladen in Berlin eröffnen wollten – zusätzlich zu den schon vorhandenen rund 2.000. Nein, wir wollten ein Gesamtkonzept entwickeln. Dazu gehörten Blumen, aber auch Möbel, Accessoires und Veranstaltungen. Eine RundumBetreuung wollten wir anbieten, in einem LifestyleStore für die Sinne.

Im April war unser Konzept fertig, und wir verschickten es an verschiedene Berliner Banken. Eine davon meldete sich, und der Sachbearbeiter teilte im breiten Berliner Dialekt mit: „Blumen und Möbel, det gloob ick nich.“ Und sagte damit ab. Doch wie unterschiedlich ein Businessplan bei anderen ankommen kann, erfuhren wir beim ersten Kontakt mit unserer späteren Hausbank. Gegen 11.00 Uhr hatten wir dort das Konzept abgegeben, um 14.00 Uhr rief uns eine Mitarbeiterin an. Sie wollte uns gerne kennenlernen. Drei Tage später saßen wir bei ihr, und sechs Wochen später hatten wir bereits das Geld auf unserem neu eingerichteten Konto. Das war Wahnsinn! Unsere Freunde und Familien hatten uns abgeraten; keiner hatte geglaubt, dass wir überhaupt eine Bank finden, die unsere Idee annimmt. Dann ging alles ganz schnell. Im Juni hatten wir das Geld, im September 2003 eröffneten wir unser Geschäft im schönen Charlottenburg.

Unser Laden wurde zum Geheimtipp. Unser erster Kunde war ein Juwelier auf dem noblen Kurfürstendamm. Der zuständige Geschäftsführer wollte unbedingt, dass wir die Blumendekoration liefern. Dank dieses exklusiven Namens kamen auch andere Geschäfte und Kunden der feinen Berliner Society. Wir boten anscheinend ein tolles Produkt, das in Berlin gefehlt hatte.

Die Presse berichtete über uns, immer mehr Menschen wurden auf uns aufmerksam. TVSender produzierten komplette Sendungen in unseren Geschäftsräumen, Modeshootings fanden bei uns statt, und bald wurden wir gefragt, ob wir uns nicht für die Ausschreibung des Deutschen Bundestags bewerben wollten, mit der nach dem passenden Lieferanten für Blumenschmuck gesucht wurde. Wir waren überwältigt und konnten unser Glück kaum fassen. Tatsächlich bekamen wir den Zuschlag und konnten auch die beiden folgenden Ausschreibungen für uns entscheiden. Bis zur Schließung unseres Geschäfts blieb der Bundestag unser wichtigster und sicherster Kunde.

Nach einem halben Jahr Geschäftstätigkeit fragte uns ein Makler, der die Läden der Liegenschaft vermieten sollte, ob wir uns vorstellen könnten, am Potsdamer Platz einen weiteren Laden zu eröffnen. Ich war dafür, denn ich glaubte, dass ein Standort auf Dauer nicht ausreichen würde. Dafür waren der Gewinn zu niedrig und die Kosten zu hoch. Nicht Größenwahn führte zu diesem Entschluss, sondern die Hoffnung. Auch sollten die Hotels in direkter Nachbarschaft als potenzielle Kunden infrage kommen, so das Versprechen des Maklers. Also begann ich zu kalkulieren und stellte fest, dass sich das Ganze rechnen würde. Die Einrichtung und Anfangskosten wollte ich durch einen ge¬rade eingegangenen Großauftrag mit einem Volumen von rund 150.000 Euro finanzieren. Wir sollten ein komplettes Restaurant gestalten und ausstatten, inklusive Möbeln, Lampen, Farbgestaltung und Accessoires. So war es geplant.

Doch leider kam es anders. Unsere Bank war gegen die zweite Filiale; sie meinte, die Erweiterung käme zu früh und sei zu teuer. Dass wir den Laden dennoch aufgemacht haben, wurde uns später, als unsere finanzielle Situation immer schlimmer wurde, vorgeworfen. Von man¬gelndem kaufmännischem Verständnis war die Rede, vielleicht sogar zu Recht.

Ein Jahr nach der Firmengründung eröffneten wir kurz vor Weihnachten unsere zweite Dependance. Pech nur, dass der Inhaber des Re¬staurants, für das wir den Großauftrag abgewickelt hatten, Insolvenz anmeldete. Wir waren also plötzlich mit einem Forderungsausfall von 70.000 Euro belastet, die übrigen rund 80.000 waren bereits bezahlt. So fehlte uns das Geld, um die neue Ladeneinrichtung zu bezahlen. Die Bank wollte uns nicht helfen, sie war ja gegen das Projekt gewesen. Also hatten wir ein großes Problem, das sicher ganz entscheidend mit zu den folgenden finanziellen Krisen beigetragen hat.

Der Hoffnungsschimmer ein halbes Jahr später: Ein großes Autohaus wünschte, dass wir in seinem Berliner Standort einen Blumen¬stand aufmachten. Wir sollten für jeden Autokäufer einen Strauß liefern und die komplette Blumendekoration für das Haus gestalten. Zusätzlich ging es um rund 220 Veranstaltungen im Jahr, die wir ausrichten sollten. Dort habe ich zum ersten Mal den Begriff „Winwin“ gehört. Es sollte sich ein Gewinn für beide Seiten ergeben.

Wir ließen auf unsere Kosten für 15.000 Euro einen Stand bauen, der übrigens noch heute steht. Doch wieder trog die Hoffnung: Die Versprechungen wurden nicht eingehalten. Angeblich hatte eine wich¬tige Mitarbeiterin des Unternehmens ein Verhältnis mit dem ehemaligen Blumenhändler und war deshalb uns gegenüber negativ eingestellt. Hinzu kam: Im Jahr 2005, in dem wir vor Ort waren, fanden statt 220 nur zehn Veranstaltungen statt – und wir durften dann doch nicht alle ausrichten. Nach einem Jahr gaben wir den Standort mit Verlust an Nerven und Geld wieder auf.

Im März 2006 erhielten wir erneut einen Großauftrag. Wir sollten an drei Tagen für die besten Kunden einer Kreditkartenfirma deutsche und Berliner Produkte präsentieren und damit die Entwicklung von der Tradition zur Moderne zeigen. Daraus entstand die Idee zu „Good old Germany“. Wir konnten unsere Vermieter überzeugen, uns an unserem Standort am Potsdamer Platz weitere 400 Quadratmeter leerstehende Ladenfläche zur Verfügung zu stellen. Und statt nur an drei Tagen wollten wir die Produkte drei Monate lang präsentieren. Innerhalb von sechs Wochen gewannen wir 40 Firmen, die uns ihre Ware in Kommission gaben. Wir stellten Mitarbeiter ein und ließen die Ladendekoration bauen. Finanziert wurde das Projekt durch die Firmen, die für die Ausstellungsfläche Miete zahlten. Zusätzlich behielten wir vom Umsatz 35 Prozent ein. Damit, dachten wir, hätten wir unser Risiko minimiert. Tatsächlich: „Good old Germany“ wurde ein voller Erfolg. In der ganzen Welt wurde über uns berichtet, und es wurde auch viel gekauft.

Im Oktober beendeten wir das Projekt und schickten die Kommissionsware zurück. Leider hatte ich mich – wie so oft – verkalkuliert. Wir konnten zwar einen großen Erfolg verbuchen, was unsere Idee anging, aber finanziell war die Angelegenheit wieder einmal ein Desaster. Wir konnten die Umsatzsteuer nicht komplett abführen und auch nicht alle Beteiligten auszahlen. Nun begann das Dilemma erst richtig, denn 40 Firmen wollten von uns Geld, das wir nicht hatten. Selbst bei der Schließung zweieinhalb Jahre später waren immer noch etliche Forderungen offen.

Ebenfalls im Sommer 2006 verhandelten wir weiterhin mit den schon erwähnten Hotels in der Nähe wegen der Dekorationsaufträge. Nach langem Hinhalten bekamen wir dann im Herbst 2006 die end¬gültige Absage. Damit war klar, dass wir unseren Laden in der Mitte Berlins nicht länger halten konnten und wollten. Wir entschlossen uns, diesen Standort aufzugeben.

2007 war das schlimmste Jahr: Mahnverfahren, Gerichtsvollzieher, Kontopfändungen und persönliche Drohungen bestimmten unseren beruflichen Alltag. Dennoch blieb unser Laden nach außen hin einer der schönsten und erfolgreichsten Berlins – zumindest für diejenigen, die kein Geld von uns bekamen. Während ich versuchte, das finanzielle Unheil zu beseitigen, schuftete mein Kompagnon fast Tag und Nacht, um die Aufträge abzuarbeiten. Unsere Reputation wurde immer besser, und es kamen immer mehr Kunden.

Unsere finanziellen Probleme schienen lösbar zu sein. Vier Großaufträge, und wir hätten alle unsere Schulden begleichen können. Doch sie kamen leider nicht, zumindest nicht gleichzeitig. Dennoch beruhigte sich 2008 die Situation langsam, wir hatten Ratenzahlungen vereinbart und konnten einen Teil unserer Schulden abtragen. Im Herbst setzten mein Geschäftspartner und ich uns zusammen und überlegten, wie es weitergehen sollte. Denn die Finanzkrise bahnte sich an, und niemand wusste, welche Auswirkungen sie haben würde.

Unsere Situation damals sah so aus: Wären unser Umsatz und vor allem unser Gewinn gleich geblieben, hätten wir noch zwei Jahre gebraucht, um unsere Schulden abzuzahlen. Natürlich nicht den Bankkredit, der wäre bis zum Jahr 2011 gelaufen. Zwei lange Jahre fast täglich 14 bis 16 Stunden zu arbeiten, um dann bei null anzukommen, das war wahrlich keine rosige Perspektive.

Überhaupt hatten wir bis dahin nur durchhalten können, weil wir großzügige Verwandte und Freunde hatten, die uns mit Darlehen im¬mer wieder aus dem Gröbsten heraushalfen. Wir selbst zahlten uns im Monat zwischen null und 1.250 Euro aus, also weniger, als unsere Angestellten verdienten.

So beschlossen wir schweren Herzens, unser Geschäft für immer zu schließen. Im Februar 2009 beendeten wir unser Projekt. Mit vielen Schulden, reich nur an Erfahrungen, aber berühmt für unsere schönen Läden, Ideen und Projekte.

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